Hildegard Hammerschmidt-Hummel - Homepage
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Aktualisiert: 17. September 2013 / updated: 17 September 2013

Radio-Sendungen / Radio-Programmes

„Was hat die moderne Radiologie mit dem Renaissance-Dichter William Shakespeare zu tun? - Brigitta M. Mazanec - Am Tisch mit Hildegard Hammerschmidt-Hummel, Shakespeare-Expertin“, Hr2 Doppelkopf (28. April 2006), 12.05 Uhr.

Auf den ersten Blick nicht viel. Doch die Frage um „Sein oder Nichtsein“ oder vielmehr „Ist er’s“ oder „Ist er’s nicht?“ konnte mit Hilfe des Darmstädter Radiologie-Professors Bernd Kober ein gehöriges Stück weitergebracht werden. Er und sein Team untersuchten eine Totenmaske, die Shakespeare zumindest ähnlich sah. Experten des Bundeskriminalamtes stellten weitere Recherchen an, und siehe da: Er ist’s. Die sogenannte „Darmstädter Totenmaske“ ist tatsächlich die von William Shakespeare. Diejenige, die mit Vehemenz, Akribie und kriminologischer Hartnäckigkeit sämtliche Unklarheiten um Shakespeare aufklären will und damit auch ein gutes Stück zur Shakespeare-Forschung beigetragen hat, ist die Mainzer Professorin Hildegard Hammerschmidt-Hummel. Im „Doppel-Kopf“ erzählt sie einen wahren Shakespeare-Krimi.
Gastgeberin: Brigitta M. Mazanec
Wiederholung um 23.05 Uhr

BMM: [Hildegard Hammerschmidt-Hummel] studierte ... Anglistik, Amerikanistik, Geschichte und Politikwissenschaft in Marburg. ... Sie promovierte mit der Dissertation Das historische Drama in England. 1977 habilitierte sie sich in Mainz mit der Habilitationsschrift Die Importgüter der Handelsstadt London als Sprach- und Bildbereich des elisabethanischen Dramas ...

[Frau Hammerschmidt-Hummel], Sie gingen dann nach Toronto und leiteten das Kulturreferat der Bundesrepublik Deutschland. Anschließend waren Sie aber wieder in Mainz. Haben dort gelehrt und - es kommt das Entscheidende - sie waren Leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin am Shakespeare-Bildarchiv an der Uni in Mainz - und ab 1996 an der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur, gegründet von dem Marburger Shakespeare-Forscher und Mainzer Akademiemitglied, Horst Oppel. Womit wir bei Shakespeare wären, dem großen Thema Ihres wissenschaftlichen Lebens, das auch Thema unserer Sendung sein soll.

Sie haben etwas ganz Entscheidendes getan, Frau Hammerschmidt-Hummel, und zwar haben Sie die Darmstädter Totenmaske, deren Herkunft eigentlich etwas fraglich war, genau anschauen lassen - mit ganz besonderen Methoden. Würden Sie uns darüber was erzählen.

HHH Ja, ich habe in der Tat die Echtheit der Darmstädter Shakespeare-Totenmaske nachweisen können, was allerdings nicht so gelaufen ist, daß ich mir das von vornherein zum Ziel gesetzt hatte. Es kam eigentlich ganz anders. Ich war mit meinem Projekt „Die Shakespeare-Illustration“ befaßt ... Ich hatte eine Zeichnung aus der Shakespeare-Zeit und glaubte auf dieser Zeichnung einen elisabethanischen Darsteller, und zwar den ersten großen Darsteller William Shakespeares erkennen zu können. Und da brauchte ich professionelle Unterstützung. Ich wandte mich damals an den BKA-Präsidenten. Denn ich wußte, daß die Experten des BKA über die Identifizierungstechniken verfügen - besondere Verfahren haben -, und es gelang mir, diese Experten zu interessieren. ... Es war in der Tat der erste große Darsteller [Shakespeares] in einem Shakespeare-Stück - und daraus folgte, daß die eigentliche Hauptfigur, Titus Andronicus, von Shakespeare selber gespielt worden sein muß. Denn ist undenkbar, daß ein solcher Part irgendein Schauspieler der Truppe gespielt hätte, denn damit ... verdiente man sehr viel Geld. Dann gelangte ich zu dem Problem, daß ich sagen mußte, im Falle des ersten großen Darstellers - er heißt übrigens Richard Burbage - bin ich in der Lage, ein Vergleichsporträt anzubieten, aber im Fall Shakespeares gibt es angeblich keine. Das war der damalige Forschungsstand. Es gäbe kein authentisches, nach dem Leben gemaltes Bild / Porträt von William Shakespeare. Da ich aber die bekannteren Bilder mitgebracht hatte - auch eine Ansicht der Totenmaske - hat sich der Experte das gleich angesehen - und mit einem Mal hat es sozusagen ‘gefunkt’ - und er verglich die Bilder ... und meinte, ich könne ihm das Material überlassen. Und er hat auch zugesichert, ein Bildgutachten anzufertigen ...

In der Zeit, in der die Untersuchungen im BKA liefen, habe ich mich selber auch ganz intensiv mit diesen Bildern beschäftigt und hab dann mit einem Mal festgestellt, daß sie Krankheitsmerkmale aufwiesen, etwa eine gewaltige Schwellung am linken Oberlid, und zwar in unterschiedlichen Größen. Das deutete sogar darauf hin, daß es unterschiedliche Lebensalter waren. Oder ein anderes Merkmal: Eine auffällige Schwellung im linken nasalen Augenwinkel. Und das hat mich dann bewogen, Experten zu konsultieren.

BMM: Dann haben Sie Mediziner eingeschaltet.

HHH: Genau, dann habe ich die Mediziner eingeschaltet, und zwar einen Augenmediziner ... Das Ergebnis war, es handelte sich tatsächlich um pathologische Symptome. Es wurde das sogenannte Mikulicz-Syndrome diagnostiziert, also eine Erkrankung der Tränendrüsen. Und was diese kleine Schwellung im linken nasalen Augenwinkel betraf, da wurde ein kleiner Karunkeltumor diagnostiziert. Das war wahnsinnig aufregend. Und während die medinischen Untersuchungen gemacht wurden, bekam ich einen Anruf von den Mitarbeitern des BKA-Sachverständigen, daß mit einem sehr schönen Gutachten zu rechnen sei - und das machte die Sache noch ... spannender. Zum Schluß hatte ich sowohl medizinische Fachgutachten als auch ein kriminaltechnisches Bildgutachten, aus dem hervorging, daß die vorgelegten Porträts, von denen man annahm, sie hätten gar nichts mit einander zu tun, ... siebzehn übereinstimmende Gesichtsmerkmale [aufwiesen]. Da war die Sache völlig geklärt. Und die Reihenfolge von Stich und Gemälde - ich rede von dem Stich in der ersten Werkausgabe, der natürlich herangezogen wurde, weil wir eine Basis brauchten - diese Reihenfolge war in der Vergangenheit auf den Kopf gestellt worden. Man hatte behauptet, das [Flower-]Gemälde sei nach dem Stich entstanden. Das konnte aber nicht sein, weil ein Maler sich krankhafte Symptome nicht ausgedacht hätte, und der Stecher hat sie weitestgehend eliminiert, so daß dieser Punkt auch klargestellt werden konnte.

Und dann kam der ganz wichtige Punkt - Grabbüste in Stratford-upon-Avon in der berühmten Dreifaltigkeitskirche, und Darmstädter Shakespeare-Totenmaske. Und da waren die Ergebnisse so verblüffend. Den eigentlichen Bildbeweis ... brachte eine Computer-Montage [des BKA-Sachverständigen], die eben diese beiden Bildnisse ... zusammegesetzt hat. Und es gab ganz verblüffende Übereinstimmungen im Detail und praktisch nahtlose Übergänge. Da war völlig klar, daß die Darmstädter Shakespeare-Totenmaske das Modell des Bildhauers der Shakespeareschen Grabbüste gewesen sein müsse.

BMM: Und man hat Ihnen so einfach diese Shakespeare-Totenmaske zur Verfügung gestellt für diese Untersuchungen, Frau Hammerschmidt-Hummel? Oder war das sehr schwierig?

HHH: Es war eigentlich kein großes Problem, den Zugang zu der Darmstädter Shakespeare-Totenmaske zu bekommen, zumal ja auch schon der BKA-Sachverständige vorstellig geworden war. Man ist mir da immer sehr sehr entgegengekommen, und ich konnte alle Untersuchungen, die ich plante, auch durchführen dort. Es war eine hervorragende Zusammenarbeit mit dem damaligen Direktor, der anfangs sich etwas gewundert hat, daß mit einem Mal das Interesse an dieser Maske wieder so groß war. Aber in Darmstadt war diese Maske immer ein Kulturgut. Sie ... war seit weit über 150 Jahren in Darmstadt. Sie wurde von einem Darmstädter Maler aufgefunden und auch im 19. Jahrhundert schon nach England gebracht. Sie hat also eine ganz aufregende Geschichte hinter sich.

... die [Eigentümer-]Familie [war] angesichts der negativen Urteile der Anglisten [sehr enttäuscht]. ... da haben meine Kollegen leider Urteile abgegeben [ohne eigene Überprüfung], vor allen Dingen auch Samuel Schoenbaum, obwohl er die Maske nie gesehen hat. ... [er] hat sich auf das Urteil einer ‘Autorität’, wie er sagt, gestützt um 1900 (er hat also keine Forschungen gemacht), sondern sich auf einen Kunsthistoriker berufen, der ... aber auch die Maske nicht persönlich in Augenschein genommen hatte ... [Man kann also sagen], es wurden Urteile gefällt, ohne das Objekt überhaupt angeschaut zu haben. Da war natürlich die Familie, die diese Maske seit über 150 Jahren besaß, enttäuscht und hat sie schließlich zur Versteigerung freigegeben. Und dann gab es ein ‘Riesen-Bietduell’. Es hat im Auktionshaus Tenner in Heidelberg stattgefunden. ... Es gab ein Bietduell zwischen dem Repräsentanten der Stadt Darmstadt und ... dem Schweizer Gelehrten Bodmer.

BMM: Wann war das?

HHH: Das war 1960. Und die Stadt Darmstadt hat alles daran gesetzt, diese Maske nicht aus Darmstadt weggehen zu lassen. Und es ist tatsächlich dem Direktor der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek, in deren Besitz ja die Maske jetzt noch immer ist, gelungen, ... dieses Bietduell zu gewinnen, und er telegrafierte dem Oberbürgermeister Darmstadts: ‘Darmstädter Shakespeare-Totenmaske verbleibt in Darmstadt’. Punkt. Damit war die Sache gelaufen. Und deshalb ist dieses wertvolle Kulturgut noch immer in Darmstadt. Und es hat natürlich jetzt immens an Wert gewonnen. Ich habe das auch etwas bitter erfahren müssen ... Wir hatten Computertomographie angesetzt. Der Chefradiologe des [Darmstädter] Klinikums hatte sich freundlicherweise bereiterklärt, das durchzuführen. Doch dann kam ... das versicherungstechnische Problem. ... eine gewaltige Versicherungssumme [wurde angesetzt] und eine [hohe] Prämie fiel da an. Das ist natürlich dann die andere Seite der Medaille, ... auch das haben wir gelöst. Sie [die Maske] ist wie ein Mensch sozusagen unter den Computertomographen gelegt worden.

BMM: Sie waren dabei und haben das beobachten können?

HHH: Ich war dabei und habe es beobachten können, und es war eine ganz spannende Sitution. Es waren auch andere Beobachter, etwa der inzwischen pensionierte Direktor der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek, mit dem ich über Jahre hinweg zusammengearbeitet habe, war anwesend und viele andere. ... Wir ... [kamen] allerdings auf dem Weg Computertomographie ... nicht recht weiter, weil [der Transport für] das Vergleichsobjekt in London, eine neue Shakespeare-Büste (das ist auch eine ganz aufregende Sache), zu gefährlich ... [war] ... wegen der Zerbrechlichkeit des neuen Objekts. Aber wir haben auch da eine andere Lösung gefunden. Wir sind dann [in London] nicht mit dem Objekt zur Klinik gefahren, sondern es ist mit einem anderen Instrumentarium gearbeitet worden, mit einer anderen Methode, mit Laserscanning, das ist also das neueste, was an Technik heute möglich ist. Da konnte man ‘vor Ort’ die Aufnahmen machen. Und das mußte dann in Darmstadt auch noch einmal geschehen. Und die Auswertung, die Evaluation ... [wurde von] Professor Kober [vorgenommen], ... der wie der BKA-Sachverständige ... Feuer gefangen hat und wahnsinnig an der Sache interessiert ist ...

BMM: Da scheint ja so ein Shakespeare-Virus zu grassieren.

Es ist erstaunlich, wie sehr die Öffentlichkeit teilgenommen hat. Es ging ja damals sozusagen um die Welt und ist in vielen bedeutenden Organen (Presse, Magazinen, auch im New Scientist oder Focus) veröffentlicht worden. ... Es war schon sehr schön zu sehen, wie eben die Leute an der Person Shakespeares und an dem interessiert sind, was praktisch noch als - , ja als physische Substanz erhalten ist. Denn die Maske ist ja nicht nur einfach ein Stück Gips in den Formen des Gesichts von Shakespeare, sondern es befindet sich Erbstubstanz an dieser Maske in Form von Haaren. Wir haben Barthaare, wir haben Brauenhaare, wir haben Wimpernhaare. Wenn man die makrophotographischen Aufnahmen der Maske sich anschaut oder auch die, die mit Photogrammetrie erstellt wurden, sieht man auch die Hautstruktur. Das ... geht schon unter die Haut, die Hautstrukturen Shakespeares zu sehen. Und das hat eben alle Experten [die mitgewirkt haben in den vergangenen Jahren] - und deren sind es viele - doch sehr sehr bewegt.

 

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